Story-Time Part 3

Da sich meine Eltern und die Kinderärztin darüber einig waren, dass ein Jahr länger im Kindergarten meiner Entwicklung nur förderlich sein konnte, hatte ich auch die Zeit und Möglichkeit, noch vor dem Schulbeginn selbstständiger zu werden. Schließlich war ich in der Schule vollkommen allein für meine Ernährung und das Blutzuckermessen verantwortlich. 
Damit ich keine Mahlzeit vergessen würde, kauften wir eine Digitalarmbanduhr mit Wecker-Funktion. Das war damals ziemlich Hightech. Allerdings hatte eine Uhr nur 6 Alarme die man stellen konnte, also bekam ich kurzerhand zwei Armbanduhren, eine Uhr für jedes Handgelenk. Etwas merkwürdig sah das schon aus, gerade an meinen dünnen Kinderarmen, aber sie erfüllten ihren Zweck. Rechts für Brot, Links für Reiskekse. Jede Stunde, immer schön im Wechsel. 
Übrigens ist mir eingefallen, dass ich gar nicht immer Reiskekse gegessen habe, erst später, weil es praktischer war. Als ich kleiner war, habe ich immer pulverförmige Stärke bekommen, die in Wasser aufgelöst war. Weil das genau so gut schmeckt, wie es klingt, haben wir dann Tomatenmark dazu gemischt. Tomatenmark deshalb, weil es (fast) keinen Zucker hatte, den ich anrechnen musste. Außerdem habe ich einmal am Tag ein Eiweißpräperat nehmen müssen, was auch ein weißes Pulver war, das wir ins Wasser auflösten. Allerdings hat das ganz leicht nach Vanille geschmeckt, was es leider nicht besser machte. Das Zeug war ziemlich widerlich. Dazu hab ich dann noch Vitamintropfen bekommen, Flourtabletten und Tabletten gegen Gicht. Wieso gegen Gicht weiß ich aber gar nicht so genau. Das war mein tägliches Abendprogramm. Aber erstmal ging es ja nun um den Schultag. 
Das Blutzuckermessen bekam ich schon selbst hin, aber ich habe es gehasst. Wer lässt sich schon gerne eine Nadel in die Fingerkuppel jagen? Noch dazu sind die super empfindlich, weil dort alle möglichen Nervenenden für den Tastsinn liegen. 
Doch an sich fühlte ich mich gut vorbereitet und freute mich auch sehr auf die Schule. Ich war ein Kind, das sehr gerne Neues entdeckt und gelernt hat. Das hat sich aber mit der Zeit eher von der Schule distanziert…
Schließlich war es soweit - der erste Schultag! Morgens nach dem Aufstehen natürlich erstmal der Biss ins Frühstückbrot und plötzlich hatte ich meinen ersten Wackelzahn. Na wenn das kein gutes Zeichen war!


Zur Feier des Tages hatte ich mal keinen Schlauch in der Nase. Den haben wir abends dann neu legen müssen.

Die ersten Tage begleitete mich meine Mutter zur Schule und blieb dort auch in meiner Nähe. Sie saß hinten im Klassenzimmer und passte auf, ob alles funktionierte. So einen Fall wie mich kannte man einfach nicht und ich bin mir sicher, dass alle Lehrer erleichtert waren Unterstützung zu bekommen. Meine Mutter redete mit allen Lehrerinnen und Hortnerinnen, erklärte ihnen, auf was sie achten mussten und was ich alleine konnte. Ein Knackpunkt war zum Beispiel der Sportunterricht. Bei großer Anstrengung wird viel Energie verbraucht und der Blutzucker sinkt schneller ab. Was wir ja vermeiden wollten, da er bei mir möglichst konstant bleiben musste. Dementsprechend musste ich dort im Auge behalten werden, dass ich mich nicht überanstrengte, ich früher Blutzucker maß oder ein bisschen mehr aß. (Das ist ein ganz schrecklicher Reim, sorry, aber dafür ist es grammatikalisch richtig…)
In diesen prägenden Jahren lernte ich einen wesentlichen Vorteil meiner Krankheit kennen. Sie kann eine gute Ausrede sein. Es war natürlich so, dass meine Gesundheit an erster Stelle kam und die Schule an zweiter. Wenn also mitten im Test meine Uhr klingelte, legte ich den Stift beiseite und holte mein Blutzuckermessgerät raus. Pieks, Tropf, Warten. Okay, Stulle in die linke Hand und mit rechts weiter schreiben. In der zweiten Klasse jedoch lernten wir das Einmaleins und Mathe war schon immer etwas, das ich einfach nicht kann und nicht mag. Und unsere Lehrerin kam auf die Idee und 10 Aufgaben zu stellen, die wir innerhalb ein von ein paar Minuten lösen sollten und welche dann von einigen bewertet wurden. Wenn nun in dieser Zeit meine Uhr klingelte… Nun ja, meine Arbeit konnte dann nicht benotet werden. Das fand ich recht praktisch, auch wenn es nicht lange klappte.

In der Grundschule lief eigentlich alles recht gut, ich hatte viel Spaß, auch wenn ich durch mein Alter etwas unterfordert war. Deswegen bot man mir an, die erste Klasse zu überspringen. Aber ich hatte Freunde gefunden und wollte bei ihnen bleiben, noch dazu, wo meine Eltern mich extra länger im Kindergarten ließen. 

Schließlich hatte ich vier Jahre hinter mich gebracht und durfte zum Gymnasium gehen. Und von da an ging alles den Bach runter…

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