Story-Time Part 2

Wo war ich? 
Ach ja, genau, Krankenhaus. Also…
Meine Eltern haben schon bald nach meiner Geburt gefragt, ob es möglich sei, mir eine Leber zu transplantieren. Das wäre bei einer anderen Form der Glykogenose nicht möglich. Bei den unterschiedlichen Typen wirkt sich der Gendefekt auch auf andere Bereiche als die Leber aus. Zum Beispiel sind bei Typ 2 die Muskelzellen betroffen, besonders die Atem- und Skelettmuskulatur. Da bringt auch eine neue Leber nichts. 
Doch die Ärzte beteuerten, dass in jedem Fall eine Diät die bessere Lösung sei und viele Betroffene damit ein gutes Leben führen können, wenn auch die Lebenserwartung mit dieser Diagnose damals noch recht kurz war. 
Also vertrauten wir ihrem Urteil und ich wurde regelmäßig in die nächste Uniklinik gefahren, damit meine Ernährung wirklich passgenau für mich eingestellt werden konnte. 

So vergingen die Jahre und ich wurde (etwas) größer. Was bedeutete, dass ich in den Kindergarten gehen konnte und das brachte neue Probleme mit sich. Meine Eltern würden nicht da sein, um für meine Ernährung zu sorgen. Deshalb wurden meine Kindergärtnerinnen von meinen Eltern geschult. 
Die Tage damals liefen ungefähr so ab:
Morgens wurde ich von der Ernährungspumpe abgestöpselt und bekam direkt das Frühstück in die Hand: Eine abgewogene Scheibe Brot mit einer Viertelscheibe Wurst und ganz wenig Margarine. Wenn ihr euch jetzt fragt, wieso das wichtig ist, es war das Einzige, was ich essen durfte. Genau abgewogenes Brot, um auf die richtige Kohlenhydratmenge zu kommen und so wenig Fett wie möglich, um die Leber nicht zu belasten. 
Dann wurde ich in den Kindergarten gebracht und kaum dass ich da war, gab es wieder Essen. Eine halbe Reiswaffel ohne irgendeinen Belag oder ähnliches. Komischerweise habe ich diese Dinger sogar sehr gerne gegessen und mag sie bis heute. 




Ich beim Essen. Immer. In jeder Lebenslage. Egal, ob ich wollte oder nicht.


Damit in der Hand durfte ich endlich spielen gehen. Genau für eine Stunde, bis es wieder Essen gab. Wieder Brot, wieder eine Viertelscheibe Wurst und Margarine. Vielleicht zeichnet sich ja jetzt schon langsam ab, wieso meine Tage schon mit drei Jahren super stressig waren. Immer bevor ich etwas zu essen bekommen habe, wurde mein Blutzucker gemessen, genau so wie bei einem Diabetiker. Mit einer Art Mini-Nadel-Pistole wird dafür in den Finger gepikst, ein Tropfen Blut rausgedrückt und der dann an ein kleines Stäbchen in einem Gerät gehalten. 

Mein Papa, wie er meinen Blutzucker misst und meine Begeisterung dabei 

Das war sogar noch blöder als das ständige Essen. 
Die einzige Mahlzeit, die ich gern gegessen habe, war das Mittagessen, weil es wenigstens ein bisschen abwechslungsreich war. Allerdings gab es auch dabei im Kindergarten Hindernisse zu überwinden. Durch meinen Gendefekt konnte ich keine Laktose verstoffwechseln und damals war Laktoseintoleranz noch relativ selten und es gab auch noch keine veganen Milchersatzprodukte. Deswegen mussten wir jedes einzelne Produkt überprüfen, ob es Laktose enthielt (übrigens ist in besonders vielen Fleischprodukten Laktose beigemischt, womit noch mehr Essen für mich wegfiel). Außerdem enthält Obst eine Menge Fruchtzucker und die durfte ich genauso wenig zu mir nehmen, wie anderen Zucker. Ein Gramm Fructose pro Tag wurde mir zugestanden, wahrscheinlich, damit ich wenigstens ein paar Vitamine bekam. Ich hatte Tabellen, in denen stand, wie viel Fructose wo drin ist und wie viel ich davon essen darf. Dementsprechend musste auch mein Gemüse gewogen werden.
Hier ein paar Beispiele: 100g Gurke, 60g Tomate oder auch drei Weintrauben, die ich also vor der Transplantation nie essen durfte. 
Wenig Fructose haben Sauerkraut, Spinat und grüne Paprika. Ich war so ziemlich das einzige Kind im Kindergarten, welches diese Sachen sehr gerne mochte. Wenn ich dort gegessen habe, wurde natürlich auch alles streng überwacht und abgemessen. Meine Mutter hat immer den Speiseplan für den folgenden Monat mit nach Hause bekommen und dann angekreuzt, was ich essen durfte und den Kindergärtnerinnen genaue Angaben gemacht, wieviel ich jeweils von etwas haben konnte oder ob sie etwas weglassen mussten. Für den Fall, dass ich etwas nicht essen durfte, stand es eine Gefriertruhe im Keller, in der vorgekochte Mahlzeiten meiner Mutter eingefroren waren, die dann für mich aufgewärmt wurden. So viel Aufwand, nur damit ich im Kindergarten „normal“ mitessen konnte. 
Tja, so verlief eigentlich meine gesamte Zeit auf dem Weg zum Schulkind. Ich blieb im Kindergarten, bis ich sieben war, da schon damals meine Entwicklung zurücklag. Ich war zu klein und zu leicht für mein Alter, mit dünnen Armen und Beinen und einem schon deutlich sichtbaren Leberbauch. 


Das ständige Essen war sehr hart, aber ich musste es ja machen. Schließlich wollten mich meine Eltern nicht mästen, sondern, dass ich so problemlos wie möglich aufwachse. Oft genug war es trotzdem sehr schwer. Manchmal war das Brot gerade erst aufgegessen, wenn schon wieder die nächste Reiswaffel dran war. Dennoch hatte ich sehr viel Spaß am Leben, trotz aller Einschränkungen und trotz meiner komischen Frisuren. Der „Vorteil“ meiner Glykogenose war es, dass sie bei mir sehr früh diagnostiziert wurde, im Gegensatz zu anderen Betroffenen, die jahrelang ohne Beschwerden oder mit schwach ausgeprägten Symptomen gelebt hatten, bis die Situation komplett kippte und sie ihr altes leben an die Krankheit verloren.
Ich kannte nichts anderes und war es so gewöhnt. So war mein Alltag, so war mein Leben und ich machte das Beste daraus.




Ps: Wenn ihr mehr über Glykogenose und deren (bisher entdeckten) 12(!) Typen erfahren wollt, schaut mal hier vorbei: http://www.glykogenose.de/de/Glykogenosen.php

Übrigens handelt es sich hierbei um eine Selbsthilfegruppe, deren Unterstützung wir selbst jahrelang genießen durften. Ich habe dort ganz besondere Menschen kennen gelernt, die mir mit ihrem Verständnis und durch die gleichen Erfahrungen sehr geholfen haben. Auch wenn wir unterschiedliche Wege gegangen sind, werde ich immer dankbar darauf zurückblicken. 

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