Organspende um jeden Preis

Ein Mann mittleren Alters liegt mit Verdacht auf Hirntod im Krankenhaus. Seine Kinder und sein Bruder sind bei ihm. Sie überlegen, wie es weitergehen soll. 
Schließlich stimmen sie der Organspende zu, sie wollen anderen Menschen ermöglichen weiterzuleben, auch wenn es der Vater und Bruder nicht mehr kann. Ein mutiger Schritt, besonders, wenn man die Entscheidung für jemand anderen treffen soll. Auch die emotionale Seite in so einem Moment wiegt unvorstellbar schwer. Der Bruder hat außerdem einen katholischen Hintergrund, was sicher auch ein Faktor war, der in diese Entscheidung stark reingespielt hat. 
Als die Ärzte vor der Organentnahme den Hirntod endgültig feststellen sollen, bemerken sie eine Restfunktion im vorderen Hirnlappen. Sie informieren die Familie. Es besteht die Möglichkeit, dass er eines Tages wieder aufwachen würde, doch niemand kann sagen, wann und ob und wie sein Zustand dann sein würde.
Diese Aussage ist für die Tochter zu viel, sie beginnt zu weinen. Sie versteht nicht, was sie denken sollte. Wer liegt da? Ist das noch ihr Vater, wie sie ihn kannte? Ist er tot? Er wird beatmet, er hat einen Herzschlag, doch ohne Maschinen würde er sterben. Was ist er also? Ein Zombie, ein „Untoter“?
Dieser Ausbruch ist für ihren Onkel ausschlaggebend. Er trifft eine Entscheidung. 
Gemeinsam verabschieden sie sich von ihrem Familienmitglied, die Maschinen werden abgestellt und er stirbt, ohne dass ein einziges seiner Organe gespendet werden kann. 

Diese Geschichte erzählte mir im Sommer der Bruder, als wir uns über das Thema Organtransplantation unterhielten und sie klingt bis heute in mir nach. 

Als selbst Transplantierte bin ich natürlich sehr parteiisch und befürworte selbstverständlich auch die Organspende. Doch ich versuche immer wieder mich in die Situation zu versetzen und ich hätte genauso gehandelt. Selbstverständlich halte ich es für wichtig, dass möglichst viele sich für Organspende entscheiden. Auf jedes Organ, das gespendet wird kommen tausende Menschen, die darauf warten. Eine belastende Situation für die Wartenden und deren Angehörige. 
Doch die andere Seite spielt eine nicht geringere Rolle. In dieser Geschichte war die psychische Belastung der Kinder einfach zu groß, als dass man es hätte verantworten können, weiter zu warten. Wer weiß, wie lange. Vielleicht hätte es jahrelang keinen Abschluss gegeben. 
Und niemand kann sagen, was er selbst gewollt hätte. Hat er irgendetwas von dem mitbekommen, was um ihn passierte? Wollte er weiter kämpfen oder hatte er schon aufgegeben? Litt er Schmerzen? Fühlte er sich in seinem Körper gefangen? Oder wollte er es unbedingt weiter versuchen?
Diese Fragen vermag niemand zu beantworten, auch wenn sie vermutlich in den Köpfen aller Angehörigen spukten. 
Doch in so einer Situation sollte man sein eigenes Wohlergehen voran stellen dürfen, ohne dafür verurteilt zu werden und ohne Angst davor, den falschen Schritt zu gehen. Auch wenn man unbedingt anderen helfen möchte, darf man sich deswegen nicht riskieren sich selbst zu schaden. 

Kommentare